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Gleichstellung zu Ende gedacht, oder: Hilflosigkeit mit Lichtblick

Vor einigen Tagen schrieb ich (sehr kurz) über den Gleichstellungsbericht 2017 und darüber, dass die Autorinnen und Autoren in ihrer Analyse nur einen einzigen Faktor nicht ausreichend berücksichtigt haben: die Sozialisation.

 

Doch erstmal einen Schritt zurück, denn es lohnt sich hier eine ausführlichere Betrachtung. Die Sachverständigenkommission, beauftragt von der Bundesregierung, hat also einen Bericht erstellt, der die Lage der Gleichstellung von Frauen und Männern in Deutschland beschreibt. So ein Bericht erscheint einmal pro Legislaturperiode und aktuell ist der insgesamt dritte in Arbeit. 

 

Das Fazit des Berichts von 2017 lautet (ich paraphrasiere): um die Gleichstellung ist es nicht besonders gut bestellt. Der Gender Pay Gap liegt seit Jahren unverändert bei 21% (1, 2) und bei genauerer Betrachtung spiegelt diese Lücke so ziemlich alles, was in Sachen Geschlechtergerechtigkeit hierzulande schief läuft.

 

Gender Pay Gap

 

Frauen verdienen 21% weniger Geld als Männer. Die Hauptursachen: Erwerbsunterbrechungen, Teilzeitarbeit und Berufswahl. Etwa ein Viertel, circa 6%, sind unerklärlich und entbehren einer sachlichen Grundlage, was der Definition von Diskriminierung entspricht (1, 2).  

 

Warum Erwerbsunterbrechungen und Teilzeitarbeit? Na, für die Familie. Kinder kriegen/haben oder Angehörige pflegen ist zeitintensiv. Familienarbeit benötigt so viel Platz, dass oftmals mind. ein Elternteil seine Arbeitszeit reduzieren muss, um diese bewältigen zu können. Da Frauen* häufiger schlechter bezahlte Berufe ergreifen (2), und/oder mit älteren Partnern zusammen sind, die aufgrund ihrer Erfahrung mehr verdienen, und/oder weil "ein Kind seine Mutter braucht", und/oder weil Frauen "besser in Haushaltssachen sind", sind sie überwiegend diejenigen, die weniger arbeiten. (Für Geld, versteht sich, denn Arbeit haben sie weiß Gott genug.) Erwerbsunterbrechungen führen zudem für Frauen oft beruflich aufs Abstellgleis. Kinder zu haben signalisiert, dass einem die Arbeit/Karriere nicht so wichtig ist (3). (Das gilt übrigens nur für Frauen: Männer können gefahrlos Eltern*zeit nehmen, so lange wie sie wollen (4). Macht aber nur 1/3 der Väter überhaupt (4a)).

 

Die Folge: Kein Aufstieg, weniger Einzahlungen in die Rentenkasse, weniger Rentenpunkte, drohende Altersarmut.  Scheitert dann noch die Beziehung, wird's richtig eng.

 

Handlungsempfehlungen

 

All dies (und mehr) beschreibt der Bericht umfassend und kommt dann zu Handlungsempfehlungen, die ich im Folgenden als Slideshow einfüge. Alles zu kommentieren wäre an dieser Stelle zu umfangreich, aber allein die Lektüre dieser Kästen (aus Gleichstellungsbericht 2017, S. 117 ff.) ist schon sehr spannend. Soziale Absicherung von Care-Arbeitszeiten, Rente, Veränderungen im Steuerrecht, Selbstständige, Alleinerziehende, haushaltsnahe Dienstleistungen, Reformen in der Pflege - ALLES IST DA! Da steht ernsthaft bis auf eine Sache alles drin, was wir bräuchten, um Gleichstellung zu verbessern. 

 

In einem Kasten wird die klischeefreie Berufswahl als Ziel genannt, und damit komme ich zurück zu dem Punkt, der vernachlässigt wird, denn die Initiativen zur klischeefreie Berufswahl sind zwar prima, setzen aber zu spät an: Der Gender Pay Gap beginnt bereits im Kinderzimmer, denn Sozialisation startet spätestens mit der Geburt.

 

Sozialisation meint das Aufwachsen mit und Verinnerlichen von bestimmten Ideen, Vorstellungen, Bildern und Heuristiken, die in einer Gesellschaft und/oder Kultur verankert sind. 

 

Dazu gehört die Einteilung der Menschen in Männlein und Weiblein und wenn es gut läuft, der Inklusion eines Kontinuums dazwischen, auf dem sich eine Mehrheit der Menschen irgendwo einigermaßen verorten kann. Aber das Binäre ist immer noch am einfachsten und die vermeintlichen Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen, die sich in unserem Zusammenleben spiegeln, prägen das Selbstbild der kleinen Personen, die da unter uns aufwachsen.

 

Es macht - nachgewiesenermaßen - etwas mit einem Kind, wenn es nur eine passive Prinzessin spielt (5). Es macht auch etwas, wenn es nicht weinen darf und mit ihm nicht über Gefühle gesprochen wird. 

 

Die Bilder im Kopf sind mächtig

 

Wir alle sind mit klischeereichen Bildern von Männlichkeit und Weiblichkeit aufgewachsen, die sich nicht so leicht aus unseren Köpfen entfernen lassen. Meine Freundin V. zum Beispiel hat genau das für sich sehr genau erkannt und würde niemals mit ihrem Freund zusammenziehen, weil sie weiß, dass sie sich dann für Dinge verantwortlich fühlen würde, für die sie nicht verantwortlich sein möchte (und es auch nicht ist, davon mal abgesehen). Sie tut es nicht, weil ihr die Macht ihrer Sozialisation bewusst ist. 

 

Viele Leute wissen kaum um diese Macht. Als Frauen sozialisierte Menschen wundern sich dann, dass ihr Partner, männlich sozialisiert, nicht mit der gleichen Selbstverständlichkeit und Aufmerksamkeit die anfallenden Aufgaben im Haushalt und besonders in Bezug auf Kinder wahrnimmt. Dabei ist er doch total für Gleichberechtigung! Was ist da los? Man hat auch vor dem Kind darüber gesprochen, dass man sich die Aufgaben teilen wird und war sich einig. Und jetzt? Wieso sieht er nicht, was zu tun ist? Habe ich es hier mit der gleichen Person zu tun, mit der ich vorher Gleichberechtigung verabredet habe?

 

Er hat weniger geübt

 

Obwohl in der Theorie Konsens herrscht, hat er oft viel weniger geübt. Er wurde weniger dazu angehalten, sich um die Bedürfnisse anderer Menschen in der Familie zu sorgen und mit Care-Tätigkeiten betraut. Schon als Baby hat er mehr "Außenweltspielsachen" bekommen als sie, die vor allem mit Haushaltsgegenständen spielen durfte. Bagger, Telefon und Dinos versus Kochgeschirr, Puppe und Kinderwagen (6). 

 

Das steckt auf die eine oder andere Art und Weise  in uns allen, ob wir wollen oder nicht. Und es erfordert eine Anstrengung, sich darüber hinweg zu setzen - für beide Elternteile. Für Frauen ist es oft eine Frage der Abgrenzung. Verantwortung abgeben, Aufgaben an die weniger geübte Person übertragen, die eigenen Bedürfnisse in den Fokus stellen. Für Männer ist es oft eine Frage der Teilhabe. Verantwortung übernehmen, Dinge im Blick behalten, neue Tätigkeiten lernen, sich selbst zurücknehmen. Er muss Mental Load-Management noch üben (siehe hierzu auch die Ratschläge für gleichberechtigte Vaterschaft. Interessant auch: Women aren't nags) (6a).

 

Ja, das klingt verdammt stereotyp. Und das ist es auch. But let's face it: An einem Ende des Spektrums ist alles Rosa und an dem anderen Ende alles Blau. So sind wir aufgewachsen und so wachsen jetzt unsere Kinder auf, wenn wir nicht aktiv etwas dagegen unternehmen (hier z.B. 20 Tipps zu geschlechtergerechter Erziehung). 

 

Sozialisation matters

 

Neben den Anti-Diskriminierungs- und Entgelttransparenzgesetzen für Erwachsene, die den Gender Pay Gap verringern sollen, ist es daher elementar, sich damit auseinanderzusetzen, mit welchen Klischees unsere Kinder groß werden und wie diese Einfluss nehmen auf die Vorstellungen, Familienarbeitsteilung und andere Lebensentscheidungen. Bei der Berufswahl damit anzufangen ist jedoch zu spät. Die Klischees wirken von Anfang an.

 

Besonders prominent nachzulesen ist dies im Global Wage Report 2018/19 der International Labour Organization (ILO). Dort lautet die allererste Handlungsempfehlung zur Behebung des Gender Pay Gaps:

 

„Stereotypen müssen schon im Kindesalter abgebaut werden, vor allem durch das Bildungssystem, sodass sich Mädchen und Jungen für die Breite der Berufe interessieren und künftig Frauen und Männer in allen Berufen und Sektoren vertreten sind. Mehr Frauen in Männerberufe und umgekehrt." (7)

 

Es ist also wirklich ALLES da. Alles. Und das ist der Grund, warum ich mich derzeit in Bezug auf feministische Fragen etwas desillusioniert und hilflos fühle. Was muss denn passieren, damit stereotypisierende und/oder sexistische Werbung zum Beispiel endlich verboten wird, wie in Großbritannien? Wenn das alles so klar ist, was macht der ganze Rosa-Hellblau-Quatsch immer noch in der Mitte der Gesellschaft?

 

Lichtblicke

 

Aber es gibt auch Lichtblicke: Einer ist der Goldene Zaunpfahl und sowieso der Verein klische*esc e.V. Ein anderer sind immer mehr Initiativen wie der Equal Care Day oder das neue Gemeinschaftsblog Damengedeck, die sich politisch mit den Zusammenhängen auseinandersetzen, die zu der so großen Diskrepanz zwischen feministischer Theorie und der Lebensrealität von Frauen* und besonders Müttern* in Familien führen. Auch die Frauenstreik-Initiativen machen Hoffnung, dass es nicht beim Schimpfen und Leiden im Privaten bleibt, sondern die Forderungen künftig lautstark auf die Straße getragen werden.

 

Ich bin  dabei.

 

 

 

Quellen: 

(1) Tagesschau Faktenfinder: Wie hoch ist der Gender Pay Gap wirklich? https://faktenfinder.tagesschau.de/inland/genderpaygap-103.html

(2) Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 098 vom 14. März 2019, https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2019/03/PD19_098_621.html

(3)  Schmelzer/Kurz/Schulze 2015, Einkommensnachteile von Müttern im Vergleich zu kinderlosen Frauen in Deutschland, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 67 (4)     

(4) Jutta Allmendinger im Interview mit Die Zeit 2017, https://www.zeit.de/zeit-magazin/leben/2017-08/jutta-allmendinger-frauen-entscheidungen/komplettansicht 

(4a) Statistisches Bundesamt 2017, zitiert aus BMFSJF 2018, Väterreport, https://www.bmfsfj.de/blob/127268/2098ed4343ad836b2f0534146ce59028/vaeterreport-2018-data.pdf

(5) BYU 2016, https://news.byu.edu/news/disney-princesses-not-brave-enough und NY Times 2016, http://well.blogs.nytimes.com/2016/06/27/disney-princesses-do-change-girls-and-boys-too/?_r=0

(6) Nash, A.; Krawczyk, R. (1994). Boys’ and girls’ rooms revisited. Vortrag vor der Conference on Human Development. Pittsburgh, Pennsylvania, oder BBC Stories 2017: Girl toys vs. Boytoys https://www.youtube.com/watch?v=nWu44AqF0iI

(6a) Natürlich gilt das nicht für alle Menschen in dieser Welt und selbstverständlich existieren Personen, die auf andere Erfahrungen zurückblicken und Dinge anders (er)leben. 

(7) https://www.ilo.org/berlin/arbeitsfelder/frauen-in-der-arbeitswelt/WCMS_652365/lang--de/index.htm

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Kommentare: 1
  • #1

    Beate Kalmbach (Montag, 09 März 2020 23:17)

    Das ist alles ganz toll und großartig recherchiert und zusammengestellt. Stimmt alles. Chapeau.
    Trotzdem stört mich was beim Lesen und ich frage mich, was. Und komme darauf, dass es mir um den Fokus geht. Der ist schon in Ordnung. Aber geht es denn immer um Scheiß-Kohle, und um das, was sich jeder auf die Fahne schreibt? Ich habe zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen, 8 und 6, die sich beide zum Teil sehr an Rollenbildern orientieren. Und das finde ich okay. Sie haben genug Eindrücke. Es gibt ihnen einen gewissen Halt, wenn sie sich auch als Geschlecht fühlen. Trotzdem gibt der Bub auch mal die Prinzessin- freilich nur , wenn wir unter uns sind - dann aber im rosa Rüschenkleid, und das Mädchen den Fiesling, mit aller dazugehörigen Kampfbereitschaft. Sie spielen inmitten einem endlosen Feld an Eindrücken und definieren ihr Selbst über Jahre. WIE genau eine Rolle aussieht und gestaltet wird, das steht jedem frei.Sie brauchen Zeit. Sie sollen einfach nur gute Leute werden. Wenn sie Mann oder Frau sein wollen, dann dürfen sie. Aber ´okay´, gute Leute halt.
    https://beatekalmbach.home.blog/2020/03/08/gedanken-zum-und-am-8-marz/
    https://beatekalmbach.home.blog/2019/12/15/ladies-first/