Meine Augenringe sind politisch

 

Anfang Mai habe ich begonnen, bei einer Instagram-Challenge zum Thema Feminismus mitzumachen. Bis zum 22. habe ich es geschafft - dann bin ich ausgestiegen. Weil ich keine Power mehr übrig hatte. Dies ist mein Wiedereinstieg (oder eine letzte Stippvisite, wir werden sehen), denn das Thema ist heute: Das Private ist politisch, und dazu habe ich eine Menge zu sagen. 

 

Erschöpft.

 

Nach sechs Wochen Mo-Fr allein mit Kind, nächtlichem Stillen und Lohnarbeit bin ich erschöpft. Nur 39% der Frauen im Alter zwischen 30 und 50 arbeiten Vollzeit (BMFSFJ). Ich weiß, warum. Denn obwohl bei uns zuhause Care-Arbeit geteilt wird, reicht die Zeit nie. Ich mag mir nicht vorstellen, wie es ist, wenn häusliche Care-Arbeit und Kinderbetreuung vor allem an einer Person hängen. Das ist mit einer Berufstätigkeit inklusive Überstunden nicht zu vereinbaren. 

 

Aber anstatt an den Betreuungszeiten herumzulaborieren oder Care-Arbeit an andere (weibliche) Personen wie Babysitter, Au-Pairs oder Haushaltshilfen auszulagern, sollten wir auch über Lohnarbeit reden. Wie wichtig ist das, was man dort macht, wirklich? Ist es sinnvoll, 50 Stunden und mehr jede Woche damit zu verbringen? Für wenige Menschen ist es das. Denn wir alle brauchen Erholung. Auch und gerade von den Jobs, die elementar sind: Pflegetätigkeiten, medizinische Berufe, erzieherische Aufgaben. 

 

Es ist mit uns nicht anders als mit dem Planenten, dessen Rettung freitäglich auf der Straße und jetzt auch auf YouTube eingefordert wird. Irgendwann sind die Ressourcen alle und der Raubbau geht an die Substanz. 

 

Was der Erde der Plastikstrohhalm ist, ist dem Menschen die Überstunde. 

 

Wir arbeiten für Geld, um die Yogakurse zu bezahlen, die wir brauchen, um von der Lohnarbeit abzuschalten.

 

Ich wünschte, ich bräuchte den Yogakurs nicht. 

Ich wünschte, ich würde nicht hier sitzen, müde und kaputt, und Öffnungszeiten von Thermen und Saunen googeln, weil ich verzweifelt einen Ort suche, an dem ich auftanken kann. 

Ich wünschte, meine Speicher wären wenigstens noch so voll, dass ich das Nichtstun genießen kann, ohne dass es einen Zweck erfüllen muss. 

Ich wünschte, meine Tage wären überwiegend so, dass ich das Arbeiten für Geld, unbezahlte Care-Arbeit, Aktivismus und Self-Care so miteinander vereinbaren kann, dass ich am nächsten Tag das Gleiche wieder tun kann, ohne mich jemals fragen zu müssen, wann ich eigentlich mal wieder Sport machen und meine Freund*innen sehen kann und woher zur Hölle ich die Zeit und Energie nehmen soll, auf mein altes Einkommensniveau als Selbstständige zurückzukommen.

 

Wer hat noch ein paar Wunschpunkte frei? 

 

Es braucht dafür - um alle Menschen abdecken zu können - eine Grundsicherung, die ihren Namen verdient. 

Es braucht eine langfristige Absicherung von familiären Care-Tätigkeiten. 

Es braucht eine Reduktion der regulären Wochenarbeitszeit, um Gleichberechtigung in der Familie zu fördern und Frauen* zu entlasten, die sich dann selbst um ihre Rente kümmern können. Macht ja sonst keiner. 

Es braucht solidarische Eltern*netzwerke (zu diesem Themenblock siehe auch: Die Neue Eltern*bewegung). 

 

Es braucht aber vor allem den politischen Willen zur Gleichberechtigung nicht nur zwischen Männern* und Frauen*, sondern auch zur Gleichberechtigung von Berufen. Fürsorgende Tätigkeiten müssen eine bessere Wertschätzung erfahren werden, sowohl im privaten - siehe Absicherung von familiären Care-Tätigkeiten - als auch im professionellen Bereich in Form von besserer Entlohnung von Pflegekräften, Erziehenden, etc. 

 

Wie absurd es ist, dass Bullshit-Jobs eine so viel größere Anerkennung erhalten (siehe David Gräber)! Dieser „Manager-Feudalismus“ ist ein Problem patriarchaler Gesellschaften. Und es ist ein Problem des Kapitalismus. Denn das Wachstum ist nicht real. Es wird kein Wohlstand generiert. Der Wohlstand wird umgeschichtet - von unten nach oben, vom globalen Süden in den globalen Norden, und Care-Arbeit findet nur am Rande statt. (1)

 

Dabei sind Care und soziale Reproduktion sind die Basis allen Wirtschaftens. Diese Bereiche und die Menschen, die damit beschäftigt sind, zu marginalisieren, ist eine Scheiß-Idee. Genauso wie es eine Scheiß-Idee ist, die eigentliche Lebensgrundlage, nämlich die Erde selbst, zu marginalisieren und auszubeuten. Zumindest letzteres haben viele jetzt verstanden. 

 

Bitte vormerken: Equal Care Day 29.02.2020!

 

Und damit auch ersteres bei mehr Leuten ankommt, war ich gestern trotz Erschöpfung bei einem Netzwerktreffen zum Equal Care Day am 29.02.2020. Denn, so privat ich sie gern verstecken würde: auch meine Augenringe sind politisch. (2)

 

 

 

(1) Oben war von der Auslagerung von Care-Tätigkeiten die Rede. Das Problem der gering geschätzten Care-Arbeit wird nicht gelöst, wenn z.B. Migrant*innen die Care-Arbeit von anderen Personen übernehmen, die stattdessen Lohnarbeit verrichten. Das müssen wir global denken.

(2) Niemandem ist mit einem Burn-Out geholfen. Allen ehrenamtlich politisch tätigen Menschen: Passt auch auf euch selbst auf.

 

#dasprivateistpolitisch #netzwerk #politik #augenringe #umwelt #fridaysforfuture #equalcare #equalcareday #carerevolution #intersektionalismus #frauenstreik #feminismusfetzt #instafeminismus

Kommentar schreiben

Kommentare: 0